"Wer reitet so spät....." - ein Balladenabend 

mit Rudolf Guckelsberger

 



Es ist still geworden um die Balladen. Früher gab es kein Lesebuch, das nicht gleich mehrere „Erzählgedichte“ enthielt. Unsere Großeltern und Eltern lernten sie noch auswendig und waren stolz, sie im Alter zitieren zu können.

Sind Balladen altmodisch, langweilig, „Schnee von gestern“? Sie erzählen doch spannende Geschichten. Eigentlich ist die Ballade so etwas wie die kleine Schwester des Romans, ein „Theaterstück im Kleinen“ – mit Konflikten und Niederlagen, Siegen und Hoffnungen, mit Trauer und Freude. Und wie einst die fahrenden Bänkelsänger dem staunenden Publikum ihre gesungenen Erzähl-gedichte auftischten, so erhoben später viele Komponisten die Ballade zur hoch-virtuosen Kunstform: die gesungene Ballade – eine one-man-Oper... Kann die alte Form, ob gesungen oder gesprochen, heute noch Freunde gewinnen? Wir nehmen die Herausforderung an...

Reiner Hiby, Bariton

Stefanie Höfner, Klavier

Rudolf Guckelsberger, Sprecher


PROGRAMM

Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832)     Der Sänger

Franz Schubert (1797-1828)                        Der König in Thule op. 5, Nr. 5 (1816)

(T: Johann Wolfgang von Goethe)

Adelbert von Chamisso (1781-1838)            Das Schloss Boncourt

Robert Schumann (1810-1856)                    Die beiden Grenadiere op. 49, Nr. 1 (1840)

(T: Heinrich Heine 1797-1856)

Adelbert von Chamisso                                 Die Weiber von Winsperg

Carl Loewe (1796-1869)                               Prinz Eugen op. 92 (ed. 1844)

(T: Ferdinand Freiligrath 1810-1876)

Nikolaus Lenau (1802-1850)                         Der Postillon

Ludwig Uhland (1787-1862)                        Des Sängers Fluch

Robert Schumann                                        Belsazar op. 57 (1840)

(T: Heinrich Heine)

Ludwig Uhland                                             Der Kastellan von Coucy

Carl Loewe                                                    Der Wirtin Töchterlein op. 1, Nr. 2 (1824)

(T: Ludwig Uhland)

PAUSE

Robert Schumann                                        Der arme Peter op. 53, Nr. 3 (1840)

(T: Heinrich Heine)

Robert Schumann                                          Der Heideknabe (Melodram) op. 122, Nr.1 (1852)

(T: Friedrich Hebbel, 1813-1863)

Erich Kästner (1899-1974)                            Verzweiflung Nr. 1

Carl Loewe                                                    Tom der Reimer op. 135a (ca. 1867)

(T: Theodor Fontane 1819-1898)

Johann Gottfried Herder (1744-1803)          Erlkönigs Tochter

Franz Schubert (1797-1828)                        Erlkönig op. 1 (1815)

(T: Johann Wolfgang v. Goethe)

Johann Wolfgang von Goethe                       Der Zauberlehrling

Carl Loewe                                                    Die Uhr op. 123, Nr. 3 (1852)

(T: Johann Gabriel Seidl 1804-1875)


„Was die Alten noch wussten...“

Einige Anmerkungen, insbesondere zu Namen und Daten in den historischen Balladen: Goethe beschreibt im Sänger im Grunde seine eigene glückliche Geschichte am Hof des Herzogs von Weimar. – Der König in Thule (für viele die deutsche Ballade schlechthin) ist eigentlich Däne, denn Thule ist noch heute eine grönländische Siedlung. – Das Schloss Boncourt in der Champagne ist Adelbert von Chamissos Geburtsort; es wurde 1793 ver-steigert und dann abgerissen. – Heines Grenadiere wurden während Napoleons Russland-feldzug 1812 gefangen genommen; nach ihrer Entlassung erfuhren sie in Deutschland, dass ihr Herr mittlerweile selbst inhaftiert war. Schumanns Vertonung ist eine Parodie auf die Marseillaise. – Den Stoff zur Ballade Die Weiber von Winsperg fand Chamisso in einer Kölner Chronik von 1162. Sie berichtet vom Kampf König Konrads III. von Hohenstaufen gegen die Welfen, einem alten deutschen Herrschergeschlecht. Ob sich das Schauspiel wirk-lich so abgespielt hat, wissen wir nicht, aber die Burg „Weibertreu“ gibt’s in Weinsberg natürlich bis heute. – Prinz Eugen (von Savoyen) eroberte 1717 die Stadt Belgrad von den Türken; Freiligrath malt sich in seiner Ballade aus, wie das berühmte Volkslied (das die Schlacht beschreibt und 1719 erstmals in einer anonymen Liederhandschrift erschien) wohl entstanden sein könnte. – Lenau, eigentlich Ungar, lebte 1831/32 in Heidelberg und Stuttgart; auf einer Fahrt nach Balingen, beim Friedhof von Steinhofen nahe des Hohenzollern, hat er die Geschichte des getreuen Postillons erlebt, der seinem dort begrabenen Kameraden Mal um Mal sein „Leiblied“ bläst. – Anders als der König in Goethes „Der Sänger“ ist sein Kollege auf dem Königsthron in Uhlands Des Sängers Fluch ein Ausbund an Bosheit und Missgunst; aber die Macht des Geistes ist letztlich stärker als alle Tyrannei! – Die Geschichte des babylonischen Königs Belsazar findet sich im 5. Kapitel des Buches Daniel im Alten Testament. Die geheimnisvollen Worte, die nach seiner Gotteslästerung an der Wand erschie-nen, lauteten „Mene tekel u-parsin“: Gezählt (sind die Tage deiner Herrschaft), gewogen (wurdest du und für zu leicht befunden) und geteilt (wird dein Reich). – Der Kastellan von Coucy war, historisch bezeugt, ein Troubadour des 12./13. Jahrhunderts, der auf einem Kreuzzug den Tod fand. Nicht nachgewiesen ist seine Liebe zur der „Dame von Fayel“, deren Geschichte Uhland grausig und anrührend zugleich erzählt. – Von der Macht der Liebe handeln die folgenden zwei Balladen: Der Wirtin Töchterlein wird von ihren drei Burschen noch im Tode geliebt; Der arme Peter aber verzweifelt angesichts des Glücks der anderen. – Angst und Furcht bedrohen und beeinflussen unser Leben, von Kindheit an. Manchmal dreht es sich ‚bloß’ ums Geld: Der Heideknabe wird, wie er es im Traum gesehen hat, um ein paar Groschen erschlagen; und der kleine Junge bei Kästner (ein „Ausrutscher“ ins 20. Jahr-hundert) stürzt über den Verlust einer Mark in seine „Verzweiflung Nr. 1“. – Elfen spielen in vielen Geisterballaden die Hauptrolle: Tom der Reimer (ein Dichter also) verfällt der schönen Elfenkönigin noch ganz arglos; Herr Oluf verweigert sich ihr und muss darum sterben; und selbst ein unschuldiges Kind, geborgen in des Vaters Arm, ist vor den Nach-stellungen des Erlkönigs nicht sicher! (Die Bezeichnung „Erlkönig“ statt „Elfenkönig“ hat Goethe von Herder übernommen; warum ihm dieses Wort besser gefallen hat, wissen wir nicht.) – Es gibt aber nicht nur böse, sondern auch dienstbare Geister; man muss freilich mit ihnen umzugehen verstehen, wie Goethes Zauberlehrling leidvoll erfahren muss! – Dass man stets dem „großen, alten Meister“ (dem Herrgott!) vertrauen sollte, meint Johann Gabriel Seidl zum Abschluss unseres Programms im Blick auf Die Uhr. Seinen Rat geben wir gerne weiter!

(Rudolf Guckelsberger)

Die Ausführenden:

Stefanie Höfner begann im Alter von sechs Jahren mit dem Klavierspiel. Sie gewann zahlreiche Preise bei „Jugend musiziert“. Nach dem Abitur studierte sie an der Musikhochschule Freiburg Klavier, danach folgten künstlerische Aufbau-studiengänge Klavier und Klavier-Kammermusik an der Robert-Schumann-Hochschule für Musik in Düsseldorf. Nach ihrem Studium war sie Korrepe-titorin bei Abschlussprüfungen von Musikstudenten und gestaltete einige Konzerte mit, u. a. das Robert Schumann-Festival in Düsseldorf. Neben ihrer Arbeit als Dozentin für Klavier an der Musikschule Nagold gibt sie immer wieder solistische und kammermusikalische Konzerte.

Rudolf Guckelsberger studierte Katholische Theologie in Bonn und Würzburg (Diplom), dann Sprechkunst und Sprecherziehung an der Musikhochschule Stuttgart (Diplom). Als Rezitator erarbeitet er seit 1990 literarische Programme – als Solist, in Sprecherensembles sowie in Zusammenarbeit mit international bekannten Musikern. Mehr als 150 Projekte sind so bisher entstanden. Mit rund 100 Auftritten im Jahr ist er einer der gefragtesten Rezitatoren Deutschlands. Auch etwa 20 CD-Publikationen haben großen Anklang gefunden. Darüber hinaus ist er Sprecher und Moderator beim Südwestrundfunk.